Historisches zur Burgergemeinde Lotzwil

Die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, welche die Reformation und mit der  französischen Revolution die Aufklärung mit sich brachten, wirkten sich natürlich auch auf die Bevölkerung des Oberaargaus aus. So waren plötzlich nicht mehr wenige Adelsfamilien und klerikale Mächte im Besitz von Ländereien, Wäldern und Gehöften, sondern die Bevölkerung selbst kam in deren Besitz. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelten sich im Oberaargau drei Klassen von Einwohnern. Einwohnergemeinden im heutigen Sinne gab es noch nicht.

  1. Die „Bursami“, die eigentlichen Dorfgenossen. Mit ihren Gehöften waren sie alleine nutzungsberechtigt an Allmenden, Weiden und Wäldern.
  2. Die Tauner und Handwerker, welche meist keine, oder lediglich auf Vergünstigung beruhende Nutzungen hatten.
  3. Die Hintersässen, welche jährlich „Hintersässengeld“ zu entrichten hatten.

Über die Nutzung hatten nur die „Bursami“ Entscheidungsrecht. Ihnen stand es frei, ob und an wen sie Pflanzland verpachteten und welche Weide sie für den Viehgang an die Besitzlosen vergaben. Als Behörde wirkte der Ammann mit den Vieren, welche den Landvogt in geringeren örtlichen Angelegenheiten vertraten. Auswärtige, die im Dorf Besitztum erwerben wollten, hatten ein Einzugsgeld zu entrichten.

Die Burgergemeinden verdanken ihren Ursprung der Armennot. Ab dem späten 16. Jahrhundert gab es etliche Bettlerordnungen, welche von den Regierungen erlassen wurden. Nach der Reformation und dem dreissig jährigen Krieg  gab es eigentliche Bettlerplagen. Die Bedürftigen wurden von Ort zu Ort vertrieben, da die Zuständigkeit für deren Unterstützung nicht geregelt war. In manchen Dörfern war die Hälfte der Einwohner unterstützungsbedürftig. In den Jahren 1676 und 1679 wurden durch die  Almosenkammer die „Zwangseinburgerung“ per Erlass verfügt. In den bernischen Gemeinden wurde das Heimatrecht eingeführt und jede Gemeinde dazu verpflichtet, für ihre Armen zu sorgen. Jeder bernische Angehörige war nun bleibend mit seinen Nachkommen in jener Gemeinde heimatberechtigt, wo er zum Zeitpunkt des Erlasses wohnte oder der Almosenkammer zugeteilt war. Er besass nun ein persönliches Heimatrecht. In dieser Verordnung wird erstmals der Begriff Burger verwendet. Wie diese Unterstützung finanziert werden sollte, war nicht geregelt. Steuern waren damals auch schon unbeliebt und so hat es sich ergeben, dass die Hilfsbedürftigen vorwiegend durch Naturalien unterstützt wurden. Ihnen wurde Pflanzland zur Verfügung gestellt  oder es war ihnen erlaubt in den Waldungen Holz zu sammeln. Auch war es ihnen erlaubt, ihr Vieh auf die Gemeindeweiden zu treiben. Aus diesem Recht wurde schliesslich ein Gewohnheitsrecht, auch wenn die Nachkommen der Bedürftigen nicht mehr auf Almosen angewiesen waren. So entstand der Burgernutzen.

Die Voraussetzungen für die heutigen Gemeindestrukturen wurden aber erst durch die Helvetik (1798 bis 1803) und der ihr folgenden Regeneration (1831-1840) geschaffen, welche zur Ausarbeitung eines Gemeindegesetzes führte. In diesem Gesetz wurde die vollständige Trennung von Einwohnergemeinden und Burgergemeinden festgelegt. Art. 1 lautet: „Jeder Gemeindebezirk bildet in Betreff derjenigen Angelegenheiten desselben, welche mit der Staatsverwaltung in näherem Zusammenhang stehen, eine Einwohnergemeinde und so viele Burgergemeinden, als in demselben abgesonderte Burgergüter vorhanden sind.“  Und Art. 2 hält fest: „Die dermal in dem Cantone bestehenden Einwohner-, Burger- und Kirchgemeinden sind in ihrem jetzigen Bestande anerkannt.“ Und Art. 43 schreibt vor: „Die Burgergemeinden besorgen die Angelegenheiten der Ortsburgerschaften und wachen über die Verwaltung des Burgerguts.“ Dazu verblieb noch die burgerliche Armenpflege bei den Burgergemeinden. Das Gemeindegesetz vom 20. Dezember 1833 kann somit als Geburtsstunde der Burgergemeinden angesehen werden. Ein Jahr später lag auch das erste „Reglement für die Burgergemeinde Lotzwyl“ vor. Die Kompetenzen der Einwohnergemeinde  einerseits und der Burgergemeinde andererseits wurden in Lotzwil allerdings erst 1864 in den Güterausscheidungsverträgen definitiv geregelt.

Quellen:

  • Emil Anliker, Der Oberaargau und die Burgerfrage, Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 12 (1969)
  • Fritz Junker, 150 Jahre  Burgergemeinde Lotzwil 1833 – 1983 (1983)